EGMR, 4. Juli 2023, Hurbain ./. Belgien , Nr. 57292/16
255. In Anbetracht des Vorstehenden stellt der Gerichtshof fest, dass die nationalen Gerichte Art und Schwere der im umstrittenen Artikel wiedergegebenen rechtlichen Tatsachen, dessen mangelnde Aktualität oder historisches oder wissenschaftliches Interesse sowie die mangelnde Bekanntheit von G. stets berücksichtigt haben. Darüber hinaus legten sie Wert auf den schweren Schaden, der G. durch die freie Online-Verfügbarkeit des umstrittenen Artikels entstanden ist, wodurch wahrscheinlich ein virtuelles Strafregister entsteht, insbesondere angesichts der Zeit, die seit der Veröffentlichung des Originalartikels vergangen ist. Nach einer Prüfung der möglichen Maßnahmen zum Ausgleich der in Rede stehenden Rechte, deren Umfang den in Belgien geltenden Verfahrensnormen entsprach, kamen sie außerdem zu dem Schluss, dass die umstrittene Anonymisierung keine exorbitante und übermäßige Belastung für den Beschwerdeführer darstellt und für G. gleichzeitig die wirksamste Maßnahme zum Schutz seines Privatlebens darstellt.
256. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung des den Staaten zustehenden Ermessensspielraums kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die innerstaatlichen Gerichte eine sorgfältige Abwägung der betreffenden Rechte gemäß den Anforderungen der Konvention vorgenommen haben, sodass der Eingriff in das durch Artikel 10 der Konvention garantierte Recht, der sich aus der Anonymisierung des Artikels in seiner auf der Website der Zeitung Le Soir veröffentlichten elektronischen Fassung ergab, auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt war und daher unter den gegebenen Umständen als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und verhältnismäßig angesehen werden kann. Der Gerichtshof sieht daher keine ernsthaften Gründe, seine eigene Meinung an die Stelle der Meinung der innerstaatlichen Gerichte zu setzen und das Ergebnis der von ihnen vorgenommenen Abwägung außer Acht zu lassen.
257. Daher liegt kein Verstoß gegen Artikel 10 der Konvention vor.“